E-Mail aus der Zukunft

Der Prozeß

Eine geheimnisvolle E-Mail bringt den Stein ins Rollen. Vier Freunde, die bisher ein ungeheuerliches Geheimnis voreinander gehütet haben, treffen sich daraufhin in einem einsamen Waldhaus am Rande eines finsteren Moores. Denn der mysteriöse Absender scheint ihnen auf der Spur zu sein. Das Kaminfeuer lodert, der Kandiszucker knackt im Glas, der Laptop steht auf dem Tisch – alles was man braucht, um die Geschichten zu erzählen und das Rätsel zu lösen. Andreas berichtet als erster:

In P. herrschte in grauer Vorzeit das Geschlecht der Edlen Gänse. In den wilden Sümpfen unterhalb der Stadt, welche auf einer Flußinsel erbaut wurde, befand sich ihre Burg, die jedoch bald nach dem Aussterben der "Gänse" Anfang des 14. Jahrhunderts verfiel.

Heute findet sich kein Überrest mehr aus jener Zeit. Allein ein winziger kurzer Graben erinnert noch die Sümpfe, aus denen einst die Burg ragte. Heute befinden sich dort zahlreiche Kleingärten. Nur zwei schmale verwunschene Gäßchen führen in diese Gegend, wobei eine davon eine Sackgasse ist.

In einer verregneten Herbstnacht kam ich mit dem Zug auf dem P.er Bahnhof an. Um wegen des Unwetters schnell nach Hause zu gelangen, nahm ich die Abkürzung durch den Steg, welcher an der alten Burgstelle vorbeiführt. Im trüben Lichte der alten Laternen tapste ich über das glänzende Pflaster – neben mir nur uralte Mauern, in denen es hin und wieder eine dunkle Nische mit einer schiefhängenden Pforte gab.

Als ich gerade an einer solchen Tür vorbeigegangen war, vernahm ich ein scharrendes Geräusch. Durch das monotone Rauschen des Regens hörte ich eine flüsternde Stimme.

Ich blieb stehen und drehte mich um.

Aus der Nische löste sich eine dunkle Gestalt und trat ins Licht – eine junge Frau, über und über mit Dreck beschmiert – ihr völlig zerlumptes Kleid und ihre strähnigen Haare hingen naß und klebrig an ihr herunter.

Ein furchtbarer Schreck fuhr mir ins Gebein, als ich ihr verschmiertes, vom Wahnsinn entstelltes Gesicht sah. Ihre Augen starrten mich irrsinnig an, und erst nach einigen Sekunden vermeinte ich überhaupt etwas menschliches in diesem Blick gefunden zu haben.

In einem unverständlichen Dialekt redete sie auf mich ein. Ihren wirren Worten glaubte ich soviel entnehmen zu können, daß ich sie hier wegbringen sollte – schnell! – und mir wurde immer unheimlicher. Ich machte mich los, wollte vor Schreck weglaufen, doch ihre dünnen Finger griffen immer wieder nach mir, und als ich mich zu ihr umdrehte, wurde ich stumm und regungslos. Für einen kurzen Moment sah sie mir so voller Sehnsucht in die Augen, daß ich alles um mich herum vergaß. Doch dann lauschte sie, als ob jemand aus der Ferne nach ihr gerufen hatte – sie verwandelte sich augenblicklich wieder in jene Furie, lief hinkend davon und verschwand hinter der nächsten Wegbiegung. Ich kam wieder zur Besinnung und rannte hinterher, doch sie war im Regen verschwunden.

Mit ziemlich ungemütlichen Gedanken und völlig durchnäßt ging ich nach Hause …

… und dort erwarten Andreas in den nächsten Tagen einige merkwürdige Phänomene. Sein Computer spielt ein unheimliches Spiel – oder steckt dahinter jene mysteriöse "Maria" aus dem Chatroom? Es scheint, als könne sie Dinge in dem Raum sehen, in dem Andreas' Computer steht – und sie kennt seine Fax-Nummer, denn sie sendet ihm eines Nachts ein uraltes Gerichts-Protokoll …

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